Rechtliches zum
Nacktwandern und warum Nacktwandern keine Ordnungswidrigkeit ist.
Die
zunehmende Beliebtheit des Nacktwanderns führt auch immer öfter dazu, dass verunsicherte
Bürger sich an Polizei oder Ordnungsamt wenden, um zu fragen, ob Nacktwandern
überhaupt erlaubt sei. Leider geben auch Ordnungsämter und Polizeisprecher
häufig die falsche Auskunft "Wenn sich jemand belästigt fühlt, schreiten
wir ein!".
Die
rechtliche Grundlage zum "Einschreiten" kann nur im Ordnungswidrigkeiten-Gesetz
§ 118 gefunden werden: "Ordnungswidrig
handelt, wer eine grob ungehörige
Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder
zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen."
Einschreiten können Ordnungsamt oder Polizei also nur dann, wenn die drei Voraussetzungen
erfüllt sind:
1. Jemand
nimmt eine grob ungehörige Handlung vor.
2. Mit der
Handlung kann die Allgemeinheit gefährdet oder belästigt werden.
3. Mit der
Handlung kann die öffentliche Ordnung beeinträchtigt werden.
Ist
Nacktwandern eine grob ungehörige Handlung?
Die
Handlung des Nacktwanderers ist das Wandern. Wandern ist sicher nicht ungehörig.
Also kann eine Ungehörigkeit nur in dem Umstand begründet sein, dass man
nackt wandert. Nackt zu sein ist ein Zustand und keine Handlung, aber Juristen
pflegen gelegentlich auch einen Zustand als Handlung zu begreifen.
Juristen
fehlt es manchmal an Differenzierungsvermögen. Um weiter zu kommen, begreifen
wir jetzt also juristisch den Zustand der Nacktheit als die Handlung, nackt zu
sein. Nacktheit an sich ist nicht ungehörig. Zur Nacktheit hat etwa die
Katholische Kirche (durch ein Lehrschreiben von Papst Johannes Paul II.)
festgelegt:
"Weil Gott ihn geschaffen hat, kann der menschliche Körper nackt und
unbedeckt bleiben und bewahrt
unberührt seinen Glanz und seine Schönheit." Wo die Kirche von Glanz und
Schönheit spricht, kann die auf christlichen Werten aufbauende, bundesdeutsche
Gesellschaft nicht auf grobe Ungehörigkeit erkennen, nicht einmal
auf einfache Ungehörigkeit!
Weiter
führt die Katholische Kirche zur Nacktheit aus: "Unanständigkeit ist nur gegeben,
wenn Nacktheit eine negative Rolle in Hinsicht auf den Wert einer Person
spielt." Naturisten nehmen alle Rücksicht auf Mensch und Natur.
Sie respektieren
jeden Menschen in seiner persönlichen Individualität und werden den Wert
eines Menschen niemals an einer körperlichen Eigenschaft oder daran messen,
ob und welche Kleidung er trägt.
Die Nacktheit eines Naturisten ist im Sinne
christlicher Normen also in keiner Weise abwertend oder unanständig.
Basis für das Zusammenleben in der Bundesrepublik Deutschland ist das Grundgesetz,
das sich ausdrücklich auf Gott bezieht. Die beiden großen, christlichen
Kirchen, denen über 60% der Einwohner angehören, bestimmen und
gestalten - z. B. in der Wertekommission der Bundesregierung - die Entwicklung
der Werte und
moralischen Normen in unserem Lande wesentlich mit. Festlegungen der
Kirche können also bei der Einschätzung, ob eine Handlung "grob
ungehörig" ist
oder ob von "Glanz und Schönheit" zu reden ist, nicht einfach
vernachlässigt werden.
Damit ist die Antwort eindeutig: Nacktwandern ist keine grob ungehörige Handlung.
Da alle 3 Voraussetzungen
für das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit erfüllt sein müssen
und die 1. Voraussetzung schon nicht erfüllt ist, muss nicht mehr geprüft werden,
ob die anderen beiden Voraussetzungen erfüllt sind. Wir wollen es dennoch
tun.
Kann
durch Nacktwandern die Allgemeinheit gefährdet oder belästigt werden?
Kann
Nacktwandern überhaupt eine Gefährdung für irgend jemand sein? Das hängt
sicher vom Ort des Geschehens ab. Wenn sich Nacktwanderer auf einem verkehrsreichen
Platz aufhalten, kann eine Gefährdung (für einzelne, nicht für die Allgemeinheit)
darin bestehen, dass Fahrzeuglenker in ihrer Aufmerksamkeit für den Straßenverkehr
abgelenkt werden. Die Schuld an ggf. eintretenden Umfällen liegt zwar
dennoch beim unaufmerksamen Fahrzeuglenker, aber der Naturist könnte zu einer
Gefährdung beigetragen haben.
Die menschliche Anatomie sollte für niemanden ein Geheimnis sein. Gefährlich, diese
Anatomie kennen zu lernen, ist es auch nicht, selbst wenn es jemanden geben
sollte, der sie noch nicht kennt. Kinder, die oft von anfragenden Bürgern als Grund
für ihre Sorge genannt werden, sollen sie sogar lernen, spätestens im Kindergarten
oder in der Schule.
Der
britische Philosoph Bertrand Russell, einer der größten Geister des 20. Jhdt.,
kam zu der
Erkenntnis: "Solange Kinder nicht auch bisweilen erwachsene Menschen
nackt sehen dürfen, müssen die Kinder zwangsläufig das Gefühl haben, dass
da ein Geheimnis ist, und wenn sie dieses Gefühl haben, werden sie aufgereizt
und unanständig."
Eine Gefahr für Kinder, aufgereizt und unanständig zu werden,
besteht also genau dann, wenn ihnen das nackte Erscheinungsbild von Menschen
vorenthalten wird.
Aber
natürlich haben Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder und können bestimmen, ob,
wann und in welcher Form sie ihren Kindern die menschliche Anatomie lehren. Deshalb
geht aber trotzdem vom Anblick eines nackten Menschen keine Gefahr aus,
denn auf ggf. aufkommende Fragen von Kindern sollten Erwachsene leicht Antworten
finden.
Also gilt: Nacktwandern in der Natur gefährdet niemanden, schon gar nicht die Allgemeinheit.
Kann
Nacktwandern eine Handlung sein, die die Allgemeinheit belästigt?
Der
Begriff der Belästigung setzt ein aktives Handeln voraus, mit dem auf andere Personen
unerwünscht eingewirkt wird. Durch die bloße Möglichkeit des Anblicks eines
sich im übrigen völlig unauffällig verhaltenden, nackten Menschen ist ein solches
aktives Handeln nicht gegeben.
Es kann aber sein, dass es Menschen gibt, denen der Anblick eines nackten Menschen
nicht angenehm ist, und die sich durch die Möglichkeit eines solchen Anblicks
gestört oder belästigt fühlen.
Im Sinne
des § 118 OWIG ist es aber unerheblich, ob sich einzelne Personen gestört oder
belästigt fühlen.
Eine Ordnungswidrigkeit liegt nur dann vor, wenn die Handlung
die Allgemeinheit belästigen kann.
Die Allgemeinheit im Sinne dieses Paragraphen kann nur die Bevölkerung als Ganzes
oder doch ein bedeutender Teil der Bevölkerung sein. Sicher wird die Allgemeinheit
nicht durch einzelne Personen oder einzelne Gruppen von Personen repräsentiert
werden. Auch dürfte etwa die Minderheit der islamischen Einwohner in
Deutschland (immerhin 3,9% der Einwohner), denen ihre Religion möglicherweise Nacktsein
verbietet, nicht für "die Allgemeinheit" stehen.
Die Neue Deister Zeitung
hat anlässlich einer Nacktwanderung im Deister im August
2009 eine Leserumfrage durchgeführt, der zufolge 78% nichts gegen Nacktwanderungen
haben, nur 22% finden, dass sich "so etwas nicht gehört".
Ebenso wie mit dem Bezug
der bundesdeutschen Gesellschaft auf christliche Grundlagen
eine "grobe Ungehörigkeit" für das Nacktwandern ausgeschlossen werden
muss, kann die Darbietung und Lobpreisung von Gottes Schöpfung (der den
Menschen nach seinem Ebenbild schuf) in der freien Natur nach den christlichen
Normen und Werten auch keine Belästigung der Allgemeinheit sein.
Was die Kirche als "Glanz und Schönheit" anspricht, kann für die
Allgemeinheit nicht
belästigend sein.
Kann durch
Nacktwandern die öffentliche Ordnung beeinträchtigt werden?
Auch dies
wird vom Ort abhängig sein. Wer nackt bei einer feierlichen Prozession mitgehen
will, verletzt damit womöglich das Glaubensgefühl vieler anderer Menschen
und stört damit die öffentliche Ordnung.
Die öffentliche Ordnung wird nach einem Urteil des OLG Karlsruhe auch gestört,
wenn Nacktivitäten
innerhalb geschlossener Ortschaften durchgeführt werden (im damaligen
Fall nacktes Joggen innerhalb der Stadt Freiburg), s.u.
Wer aber
in Naturparks oder Naturschutzgebieten oder ähnlichen Orten in der freien
Natur wandert, der kann die öffentliche Ordnung in der Natur nicht beeinträchtigen
- der Naturist gliedert sich ja bewusst in diese Natur ein und wird ihr natürlicher
Bestandteil und aktiver Bewahrer, indem er sich so verhält, dass weder Pflanzen,
Tiere, Erde, Gewässer noch Menschen gestört oder geschädigt werden.
Schlussfolgerung
Nicht eine
einzige der 3 notwendigen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit
nach § 118 OWIG ist erfüllt, wenn Menschen nackt in der freien Natur
wandern.
Warum
Nacktwandern kein Öffentliches Ärgernis ist
Der
Begriff "Öffentliches Ärgernis" stammt aus dem Strafgesetzbuch und
betrifft Straftaten,
die sexuelle Handlungen in der Öffentlichkeit und Exhibitionismus betreffen.
Laut Urteil des bayrischen OLG liegt Exhibitionismus nur dann vor, wenn das
Ziel der exhibitionistischen Handlung eine sexuelle Befriedigung ist.
Nacktwandern mit dem Begriff des Öffentlichen Ärgernisses in Verbindung zu bringen,
ist also vollständig abwegig.
Wann
Nacktwandern u. U. doch eine Ordnungswidrigkeit sein kann
Es gibt nur wenige maßgebliche Urteile in der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte,
in denen Nacktheit als Belästigung der Allgemeinheit bestätigt worden
ist.
Bekannt geworden ist der Fall des "Nacktläufers von Freiburg", Dr.
Peter Niehenke.
Zitat:
"Dies [das Vorliegen einer
Ordnungswidrigkeit, Einfügg. des Autors] ist
nach der
Rechtsprechung der für die Auslegung von Bußgeldvorschriften zuständigen ordentlichen
Gerichte dann der Fall, wenn das Scham- und Anstandsgefühl der ungewollt
mit fremder Nacktheit konfrontierten Menschen nachhaltig tangiert wird,
wie dies beim Präsentieren eines unbekleideten menschlichen Körpers auf öffentlichen
Straßen und Plätzen grundsätzlich der Fall ist, ohne dass es allein auf die
das Geschlecht bestimmenden Körperteile ankommt."
(OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2000,
309 ff.).
Bemerkenswert
ist, dass man sich auf die bisherige Rechtsprechung bezieht, ohne zu
prüfen ob sich in der bundesdeutschen Gesellschaft und der gelebten Rechtswirklichkeit
ein Wandel bzgl. akzeptierter Werte entwickelt hat. Scham und Anstand
sind immer anerzogen und unterliegen daher der Änderung gesellschaftlicher
Entwicklung.
Bemerkenswert ist weiter, dass der Bezug der Bundesrepublik auf die christliche Religion
und die dort festgelegten Werte und Normen in dem Verfahren nicht berücksichtigt
worden ist. Bemerkenswert ist drittens die ausdrückliche Nennung von
"öffentlichen Straßen und Plätzen".
Zitat: "Nach den getroffenen Feststellungen ging der 52jährige Betroffene
im Zeitraum von
Februar bis Oktober 2001 in insgesamt sechs Fällen weitgehend unbekleidet
durch Freiburg (Stadtzentrum und Außenbereich) sowie durch Umkirch umher."
Der Fall betraf also Nacktheit in geschlossenen Ortschaften und nicht etwa naturbewusstes
Wandern in Naturparks oder Naturschutzgebieten.
Zitat: "Unerheblich sei auch, ob sich tatsächlich Passanten belästigt
gefühlt hätten."
Dies bestätigt höchstrichterlich, dass das Empfinden einzelner oder
mehrerer Personen für die Erfüllung des Sachverhalts einer Ordnungswidrigkeit
irrelevant sind.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe, auf das sich zahlreiche nachrangige
Bewertungen und
Verwaltungsanweisungen berufen, stellt noch den bemerkenswerten
Punkt ins Zentrum der Betrachtung:
In der
Urteilsbegründung wird davon gesprochen, dass "das Scham- und Anstandsgefühl
der ungewollt mit fremder Nacktheit konfrontierten Menschen nachhaltig
tangiert wird". Jeder normale Mensch schaut seinen Mitmenschen ins Gesicht
- und dann sieht bzw. beachtet man gar nicht dessen wo mögliche Nacktheit.
Nur
FKK-Anfänger und Voyeuristen gucken anderen Menschen erst einmal auf's Geschlecht.
Die Unanständigkeit liegt also nicht beim Nacktwanderer sondern beim
yoyeuristischen Betrachter, der dann auch noch behauptet, ihm sei sein schamloser
Blick aufgezwungen worden. In Wirklichkeit offenbart sich hier die scheinheilige
Verlogenheit unmoralischer Moralprediger, die schon Richard Ungewitter
vor 100 Jahren in seinen ersten Schriften gebrandmarkt hat.
Der VGH Baden-Württemberg führt in derselben Sache weiter aus: "Sowohl
das Geschlechtsteil
als auch das Gesäß eines Menschen gehörten zum menschlichen Schambereich,
welcher nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort in der Öffentlichkeit gezeigt
werden dürfe."
Hier sei erneut angemerkt, dass Scham nur anerzogen ist und daher der Schambegriff
einer gesellschaftlichen Wandlung unterliegt, die im jeweiligen Fall sorgfältig
zu überprüfen ist. Erfolgt diese Prüfung nicht oder nur unzureichend (und erfolgt
ein Urteil nur basierend auf Pauschalmeinungen), dann liegt hier ein Verfahrensfehler
vor.
Wichtiger
noch ist aber die Erkenntnis: Es gibt nach Auffassung des VGH BW (außerhalb
geschlossener Ortschaften) sehr wohl Zeiten und Orte, an denen das Geschlechtsteil
als auch das Gesäß in der Öffentlichkeit gezeigt werden dürfen. Natürlich
hat der VGH BW dabei insbesondere Naturparks und Naturschutzgebiete angesprochen,
also Orte, in denen die Natur - und damit auch die menschliche Natur
- unter ausdrücklichem Schutz steht.
Damit
fällt unser Ansatz, in der freien Natur, in Naturparks und Naturschutzgebieten nackt
zu wandern, eben nicht unter den § 118 OWIG.
Es sei an dieser Stelle vermerkt, dass es in der Politik bereits seit geraumer
Zeit Forderungen
gibt, den § 118 OWIG
ganz zu streichen - wegen offenbarer Unsinnigkeit.
Begründung: Die verfolgungswürdigen Vergehen seien vollständig durch
§ 183 StGB abgedeckt.
Hinweis: Ob im Einzelfall eine Ordnungswidrigkeit vorliegt oder nicht,
entscheidet das
jeweils zuständige Gericht. Das Erkennen eines Ordnungsamts auf das Vorliegen
einer Ordnungswidrigkeit ist lediglich dann rechtswirksam, wenn der Betroffene
dem zustimmt.
Und: Erläuterungen vom Ministerialdirigenten im Justizministerium des Landes Brandenburg,
Herrn Honorarprofessor Dr. Michael Lemke, der – zusammen mit Dr. jur.
Andreas Mosbacher - in „Ordnungswidrigkeiten-Gesetz“ (Heidelberg, 2005) auf den
Seiten 868/869 sogar feststellt, dass Nacktheit auch in nicht explizit der FKK gewidmeten
öffentlichen Bereichen – je nach den Umständen – bereits jetzt und selbst
bei strengster Auslegung des Ordnungswidrigkeiten Gesetzes ohne weitere Prüfung
keine Ordnungswidrigkeit darstellt.
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